Eine Stunde vor Mitternacht erreiche ich den Parkplatz beim Kraftwerk von Latschau. Selbst um diese Zeit hat es noch fast +5° C. Frühling auf eintausend Meter Meereshöhe. Nach der Nacht im Auto starte ich am nächsten Morgen Richtung Lindauer Hütte. Am Ende der Rodelstrecke kann ich anschnallen. Bald öffnet sich das Gauertal und zum ersten Mal habe ich den Blick auf die unglaublich beeindruckende Bergkulisse am Horizont. Zwei der Traumgipfel dort habe ich zum Ziel. Links die 2.818 m hohe Sulzfluh und für heute den 2.830 m hohen Drusenturm, bei dem man sich aus dieser Perspektive unwillkürlich fragt, wie das mit Skiern gehen soll. Ich lasse den präparierten Hüttenweg links liegen und halte mich auf schmaler Spur rechts zur Unteren Sporaalpe. Allerdings folge ich nach dem anschließenden Steilstück einer Spur, die mich zu weit rechts und zu hoch führt. Ein herrlicher Ausblick auf die Drusentürme und eine Gämse entschädigen für den Umweg. Ich drehe um und treffe bei der Oberen Sporaalpe auf das Tal, das hinauf zum Öfapass zieht. Die sonnenbeschienenen Hänge von Geißspitze und Kreuzspitze rechterhand sind von Nassschneelawinen ziemlich abgeräumt. Im Öfatobel hat sich dadurch ein gewaltiger Lawinenstrich gebildet. Ich suche mir einen Weg nach oben hindurch. Nach einer Trinkpause beginne ich den Aufstieg durch das Sporertobel. In Spitzkehren geht es zunehmend steiler nach oben. Es herrscht bestes Wetter und mit jedem Meter werden die Ausblicke gewaltiger. Oberhalb des Sporaturms kommt ein Tourengeher, der von der anderen Seite aufgestiegen ist, der erste Mensch, den ich heute treffe. Vor dem Sporasattel wird es über 40 Grad steil, in engen Kickkehren zickzacke ich auf das Plateau mit dem Kleinem Drusenturm auf der linken Seite. Noch knappe zweihundert Höhenmeter. Rechts haltend wieder einige Spitzkehren, bis sich der Hang etwas zurücklegt, wenig später bin ich oben. Durch mein kurzes Verlaufen waren es am Ende etwa 2.100 Höhenmeter Aufstieg. Eine Stunde Gipfelrast in der Sonne und dem Blick auf ein Traumpanorama. Die Abfahrt wird bis fast zur Lindauer Hütte ein Pulverschnee-Vergnügen. Unter der Woche zur Zeit eigentlich nicht bewirtschaftet gibt es doch Getränke und einfache Mahlzeiten. Die Nacht verbringe ich mit einigen Tourengehern im komfortablen Winterraum. Klar und sonnig beginnt auch der nächste Tag.
Vom Fenster des Winterraumes schaut man genau hinein in den “Rachen”, das große und etwa 35° steile Kar unter dem Gipfel der Sulzfluh. Da ich mir durch die Nacht auf der Lindauer Hütte den erneuten Zustieg von Latschau gespart habe, gehe ich heute von einer gemütlichen Tour aus. Zunächst eine schräge Abfahrt durch lichten Wald hinunter in das Kar an der Nordflanke der Sulzfluh. Kurz über einen Lawinenstrich, dann folgt eine sehr steile Rampe. Zwischen Latschen und Felsbrocken kraxle ich nach oben, mal mit angeschnallten Skiern, mal zu Fuß auf allen Vieren durch zu enge Rinnen. Von wegen gemütlich. Endlich öffnet sich mit dem Verlassen einer letzten Rinne das Gelände und ich kann von unten direkt in den “Rachen” schauen. Der weitere Aufstieg in weiten Spitzkehren wird ein Genuss. Tief unter mir die Lindauer Hütte, rechts leuchten die Drusentürme in der Sonne. Im Rachen werden sie von den Steilwänden der Kleinen Sulzfluh verdeckt. Schnell rückt der Gipfel näher. Doch so wie sich oberhalb des Rachens das Gelände verflacht, scheint sich der Weg noch etwas in die Länge zu ziehen. Bisher war ich ganz allein. Drüben am Gipfel aber ist Bewegung. Tourengeher, die von der Schweizer Seite bzw. der Tilisuna-Hütte aufgestiegen sind. Wenig später bin ich oben an dem gewaltigen Gipfelkreuz und genieße in einer langen Rast in der Sonne den weiten Blick. Traumhafte Abfahrt durch den Rachen und die folgenden Hänge. Die steilen Rinnen bewältige ich kurz schwingend oder quer rutschend. Auf der folgenden Abfahrt auf dem Hüttenweg hinunter nach Latschau bleibe ich immer wieder stehen und werfe einen Blick zurück auf diese wunderschönen Berge.