VON DER CORDILLERA BLANCA AN DEN RIO UCAYALI
In der Nordhälfte Perus befindet sich die Cordillera Blanca, einer der schönsten Gebirgszüge der Anden. Hier stehen die höchsten Berge des Landes, in Chavin gibt es indianische Tempelruinen, die schon vor der Gründung des Römischen Reiches gebaut wurden, und hier rücken die Weiße und die Schwarze Kordillere so eng zusammen, dass sie den spektakulären Canon del Pato bilden. Acht Stunden Busfahrt von Lima entfernt und in 3400 m Höhe ist die Stadt Huaraz für uns der Ausgangspunkt in die Berge. Um uns zu akklimatisieren, erkunden wir zunächst die Stadt. Als wir uns auf der Plaza de Armas ausruhen, findet sich Sarah ganz schnell in einem Kreis jugendlicher Schuhputzer wieder, die sich in sie verliebt haben, wie mir der Mutigste erklärt. Tagesausflüge führen uns nach Chavin und zu den riesigen Puya Raimondis. Marcelinha, die kleine Indianerin, die in unserer Herberge als Mädchen für alles arbeitet, hat uns in ihr Herz geschlossen. Eines abends schleppt sie uns zur Eröffnung einer Bilderausstellung einheimischer Künstler, an der ihr Sohn mitgewirkt hat. Geschlossene Gesellschaft, schicke Kleidung – aber offensichtlich geben wir der Veranstaltung internationales Flair. Wir werden herumgeführt und den wichtigen Leuten vorgestellt. Und es gibt tolle Bilder zu sehen, moderne indianische Kunst.
Mit einem voll gestopften Micro fahren wir das schöne Tal des Rio Santa hinunter nach Caraz (2293 m). Nicht weit von hier beginnt der Canon del Pato, durch den eine atemberaubende Strasse mit über dreißig Tunneln nach Huallanca führt. Ein Taxi bringt uns hinauf nach Cashapampa. Dort beginnen wir unseren dreitägigen Aufstieg zum 4760 m hohen Punta Union Pass. Im unteren Teil setzen uns die Hitze und Schwärme von lästigen Stechmücken zu. Weiter oben wird es kalt. Wind, Sonne, Nebel und Schnee wechseln sich ab. Die letzte Etappe zum Pass wird ein hartes Stück Arbeit. Doch wie bestellt, klart es oben auf und wir genießen die grandiose Aussicht. In den nächsten zwei Tagen steigen wir ab nach Colcabamba und noch einmal steil hinauf nach Vaqueria.
Nach langem Warten trampen wir mit einigen Indianern auf der Ladefläche eines LKW über den 4767 m hohen Pass Portachuelo de Llanganuco. Die Abfahrt in den steilen, engen Schotterserpentinen auf der anderen Seite gleicht einer Achterbahnfahrt. In der Dämmerung steigen wir auf offener Strecke aus und klettern das enge Seitental hinauf zum Basislager des Huascaran. Eis- und Steinlawinen sorgen hier ständig für eine beeindruckende Geräuschkulisse. Am nächsten Tag klettere ich zusammen mit Lennart auf etwa 5000 m, wo wir unser Lager aufschlagen. Kurz nach Mitternacht, bei klirrender Kälte, beginnen wir unseren Aufstieg Richtung Gipfel des Chopicalqui (6354 m). In Huaraz haben wir uns Steigeisen ausgeliehen und die ganze Zeit mitgeschleppt. Wir kommen bis auf ca. 6150 m. Der Weg zum Gipfel ist auf dieser Route durch einen frischen Gletscherbruch versperrt, den wir mit unseren Mitteln nicht überwinden können.
Nach unserem Bergabenteuer trampen wir zurück ins Tal und fahren zurück nach Huaraz. Von hier beginnen wir unseren Abstieg in den Dschungel. Die nächsten drei Tage werden fast anstrengender als die Bergtour. In einem überfüllten Bus fahren wir stundenlang hinunter nach La Union und trampen in einem klapprigen PKW über holprige Pisten nach Huanuco. Tags darauf rollen wir weiter nach Tingo Maria. Das Klima ist feucht-heiß, wir sind schon mitten im Dschungel und im Zentrum des Drogenhandels. Eindringlich legt uns ein Rikschafahrer ans Herz, nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr auf die Strasse zu gehen: “Mucho Colterismo!” Der dritte Tag bringt uns endlich nach einer scheinbar endlosen Fahrt durch den heißen Dschungel zu unserem Ziel, der Stadt Pucallpa am Rio Ucayali. Wir steigen bei Thomas ab, einem Deutschen, der seit vielen Jahren in Peru lebt und zusammen mit seiner peruanischen Frau die idyllische Lodge La Perla an der Laguna Yarinacocha betreibt.
Hier erwischt die Kinder und mich Montezumas Rache, nur Petra bleibt verschont, und es vergehen einige Tage, bis wir wieder fit sind. Dann aber unternehmen wir auf Empfehlung von Thomas mit Magno, einem einheimischen Führer, einen mehrtägigen Dschungeltrip. Bisher waren wir noch nie mit Führern unterwegs, hier aber haben wir kein Problem damit. Der Dschungel ist zu neu für uns, mit Magno ist es sicherer und wir können viel von ihm lernen. Er entdeckt Dinge, an denen wir blindlings vorbei gelaufen wären, fängt mit bloßen Händen Krokodile (!), pflückt Faultiere von den Bäumen, geht wie ein Künstler mit der Machete um – kurz, er ist genau der richtige Typ. Es sind erlebnsireiche Tage. Wir angeln Piranhas, tauschen Lebensmittel mit Indianern, die uns in Einbäumen begegnen, und besuchen Indianerdörfer. Als wir eines Nachts von der Krokodilbeobachtung ins Lager zurückkehren, sitzt eine handgroße Tarantel auf einem unserer Zelte…