“Mountain River is the Best”

“Mountain River is the best!“ Jill, Rafting Guide am South Nahanni, auf meine Frage nach ihrem schönsten Fluss.

Es ist jetzt zehn Jahre her, als wir auf unserer Kanutour auf dem South Nahanni River Jill kennen lernten, eine junge Frau, die als Raftguide eine Gesellschaft älterer Herrschaften, eine so genannte Senior Party, von den Virginia Falls den wilden Fluss hinunter führte. Trotz ihrer Jugend hatte sie schon viele Flüsse in ganz Kanada kennen gelernt und deshalb fragte ich sie, welchen davon sie uns denn besonders empfehlen würde. Wie aus der Pistole geschossen, kam die Antwort: “Holger, Mountain River is the best!”

Die Jahre vergingen und dieser Spruch blieb immer irgendwo in meinem Hinterkopf präsent, bis es im Sommer 2006 endlich soweit war. Anfang August startete unsere Pilatus Porter von Norman Wells in Richtung Mackenzie Mountains. Mit Petra und mir sind Siggi und Sabine an Bord, gute Freunde aus dem GOC. Zu viert wollen wir den Mountain River in voller Länge befahren. Anderthalb Stunden brummt das Wasserflugzeug durch eine faszinierende Bergwelt, bis wir endlich auf dem kleinen Dusty Lake etwa einen Kilometer vom Fluss entfernt landen. Nathan, unser Pilot, liebt ganz offensichtlich den Nervenkitzel. Zuerst verringert er in zwei extrem engen Kurven die Flughöhe und schleicht dann so knapp über die Tundra, dass er unmittelbar nach dem Ufer auf das Wasser aufsetzt. Der See ist so flach, dass wir unsere Ausrüstung im Kanu vom Flugzeug ans Ufer bringen müssen. Wenig später ist Nathan schon wieder in der Luft und fliegt mit den Flügeln wackelnd über unsere Köpfe davon.

Die nächsten vier Stunden vergehen mit der schweißtreibenden Plackerei, unsere Ausrüstung in mehreren Gängen durch dichten, mannshohen Busch hinüber an den Fluss zu schleppen. Erst am späten Abend steht das Lager und wir können verinnerlichen, wo wir uns überhaupt befinden. Von hier sind es nur noch wenige Kilometer bis zum Quellgebiet des Mountain River, welches fast auf der Wasserscheide und der Grenze zwischen dem Yukon Territorium und den Nordwest Territorien liegt. Dort entspringen auch der Bonnet Plume und der Snake River. Die kahlen Berge sind weit über 2000 m hoch, spärlichen Baumbewuchs gibt es nur entlang der Wasserläufe. Unser Camp steht auf 1200 Metern Meereshöhe und der Mountain River wird nach seinem knapp 300 Kilometer langen Lauf zum Mackenzie River dort auf nicht einmal 50 Metern Höhe ankommen. Dieses Gefälle verspricht jede Menge Wildwasser. Vor uns liegen knapp vier Wochen, eine Menge Zeit für diese Strecke und wir sind uns einig, soviel wie möglich davon in den Bergen zu verbringen.

Zwei Tage bleiben wir im ersten Lager, backen Brot, wandern flussauf bis zum spektakulären Wasserfall, werden von Caribous beobachtet. Siggi und Sabine setzen ihren Ally zusammen, Petra und ich spannen die Spritzdecke auf unseren geliehenen 17-Fuss-Prospector. Die Nächte sind eiskalt, am Morgen dampft der Fluss und dicker Raureif hängt auf den Zelten. Aber der Sommer war heiß und trocken hier, so dass wir jetzt im August auf einen entsprechend niedrigen Wasserstand treffen. Wir sollten bald erfahren, dass es dadurch nicht einfacher werden muss…

Als unsere Reise flussabwärts beginnt, nutzen wir die ersten Kilometer, um uns mit den schwer beladenen Kanus vertraut zu machen. Der Mountain River fließt schnell. Immer wieder läuft das braune Wasser im breiter werdenden Flussbett auseinander und wird flach, um sich schließlich in steileren Passagen in mehreren auseinander strebenden Kanälen zu sammeln. Dort gilt es die richtige Fahrrinne zu finden, die meist in den Außenkurven liegt und wo das Wasser mit hoher Geschwindigkeit auf senkrechte, oft unterspülte Felswände zurast. Durch den niedrigen Wasserstand verengt sich die Fahrrinne derart, dass es trotz Seilfähre rückwärts oder Diagonaltechnik nicht immer gelingt, dem Chaos zu entweichen, ganz einfach, weil im flachen Wasser daneben die Paddel nicht mehr greifen. So sind Prallwände und unberechenbare Wasserpilze fast ständig unser Begleiter. Es gibt Wildwasser-Stellen satt bis zum 3. Grad, die bei höherem Wasserstand entweder verschwunden sind oder, durch genügend Platz zum Ausweichen, sicher umgangen werden könnten. Im Boot bleibt kaum Zeit die Landschaft zu genießen. Weit vorausschauend müssen wir den Fluss beobachten, um rechtzeitig die richtige Route zu wählen oder das geeignete Manöver einzuleiten.

Ahnungslos quert direkt vor uns ein Caribou den Fluss durch die Stromschnellen, ein quer zur Strömung treibendes Holzstück gerät plötzlich in Bewegung und enttarnt sich mit lautem Aufplatschen des Schwanzes vor dem Abtauchen als Biber. Später schrecken wir nah am Ufer treibend einen Grizzly im Gebüsch auf, der durch das Unterholz brechend das Weite sucht.

Auf der Karte ist gut zu erkennen, wie der Mountain River durch mehrere quer liegende Gebirgszüge bricht und dabei eindrucksvolle Schluchten gebildet hat. Zusammen mit dem malerischen Mini-Canyon im Oberlauf sind es insgesamt sieben imposante Canyons. Nahezu Furcht erregend sieht der Eingang zum zweiten Canyon aus, wo der Mountain River in einem dunklen Felsentor verschwindet. Direkt davor mündet der Cache Creek in den Fluss und wir haben einen wunderschönen Lagerplatz in der Nähe mineralischer Quellen. Ein kleines Erdhörnchen wird dort von Tag zu Tag mutiger, bis es schließlich zwischen unseren Beinen herum springt. Petra tauft es auf den Namen Hermann.

Wir lassen uns viel Zeit auf unserer Reise stromab, genießen das Leben im Camp, unternehmen ausgedehnte Wanderungen, gehen Angeln und spielen Romme, wobei Siggi schon unverschämt viel Glück hat 😉 . Der Mountain River wird breiter, sein braunes Wasser durch die klaren Seitenbäche allmählich heller und die Rapids, Prallwände und Pilze werden immer eindrucksvoller.

Auf dem Weg zum dritten Canyon kommen wir direkt nach unserem Aufbruch vom Camp am Etagochile Creek an einer gewaltigen Prallwand mächtig ins Schwitzen. Am meisten beeindruckt uns die Anfahrt zum vierten Canyon. Der Mountain River verschwindet hier zwischen mehrere hundert Meter hohen Felswänden und das Gefälle lässt uns fast glauben, am Ablauf einer Sprungschanze zu stehen. Ein Eindruck, der durch die Struktur des Gesteins noch verstärkt wird. Die gewaltige Stromschnelle am Eingang kann bei höheren Wasserständen rechts passiert werden, wir haben nur die Wahl zwischen Treideln oder Durchfahren. Je ein Team wählt eine Variante und beides geht gut. Im Canyon warten weitere Schwierigkeiten, wo das vorherige Observieren kritischer Stellen meist nicht möglich ist und bei hoher Fahrt vom Kanu aus schnelle Entscheidungen getroffen werden müssen.

Je tiefer wir kommen, umso stärker wird der Baumbewuchs. Schlanke Fichten dominieren den Übergang zur Taiga. Dort, wo sich Birken darunter mischen, zeigt das gelb leuchtende Laub, dass der Herbst hier bereits begonnen hat. Immer öfter fliegen V-förmige Formationen von Gänsen auf ihrem Weg nach Süden über uns hinweg. Der fünfte Canyon markiert den Übergang von den Mackenzie Mountains zu den Mackenzie Lowlands.

Unsere letzte Wanderung führt uns dort auf einen der umliegenden Berge mit weitem Blick auf die flache Hügellandschaft bis zum Mackenzie River am Horizont. Darin verliert sich der Mountain River in einem Wirrwarr unzähliger Flussarme. Aber auch in den Lowlands wartet noch ein Höhepunkt auf uns. Nicht minder eindrucksvoll ist kurz vor der Mündung des Gayna Rivers der sechste und letzte Canyon mit der zusätzlichen Aussicht auf ein Bad in schwefelhaltigen Quellen. Genüsslich liegen wir bei nasskaltem Wetter dort im dreißig Grad warmen Wasser und werden dabei von kleinen Fischchen angeknabbert.

Unser letzter und längster Paddeltag bringt uns in einem Ritt zum mächtigen Mackenzie River, fast 1200 Meter tiefer als unser Startpunkt am Dusty Lake. Als wir dort am nächsten Tag auf unser Wasserflugzeug wartend auf dem umgedrehten Prospector die letzte Runde Romme spielen, sind wir uns alle einig, dass diese Tour wohl einmalig schön war: Die traumhafte Landschaft, dieser wunderschöne und abwechslungsreiche Fluss, die Tierwelt und nicht zuletzt unser harmonisches Team, dass sich wunderbar ergänzt hat. Jill hatte Recht: “Mountain River is the best!”