Bonnet Plume Rain

EIN VERREGNETER SOMMER IM YUKON

An Taco Bar am Peel River trafen wir zwei Kanadier aus Whitehorse, die vom Wind River kamen und auf ihr Buschflugzeug warteten. Der verregnetste Sommer im Yukon seit 35 Jahren, erzählten sie uns. Prima, und wir sind dabei gewesen!

Im Nordwesten Kanadas bilden die Mackenzie Mountains mit ihren bis an die 3000 Meter hohen Gipfeln die Grenze zwischen den Nordwest Territorien im Osten und dem Yukon Territorium im Westen. Hier oben entspringen eine Vielzahl namhafter Flüsse, die das Herz des Kanuten höher schlagen lassen. Einer von ihnen ist der Bonnet Plume River. Es ist der Fluss, der am längsten durch die einsame Bergwildnis führt, bis er schließlich nach rund dreihundert Kilometern in den Peel River mündet. Von hier sind es nochmals rund zweihundertsiebzig Kilometer auf dem immer langsamer werdenden Peel River bis nach Fort McPherson am Dempster Highway. Besonders in der ersten Hälfte ist der Bonnet Plume River gespickt mit Wildwasser-Schwierigkeiten bis zum V. Grad, wodurch seine Befahrung entweder dem erfahrenen Kanuten vorbehalten bleibt oder dem, der bereit ist, seine gesamte Ausrüstung auch über längere Strecken zu portagieren.

Nach der Fahrt im gemütlichen Van von Yukon Nature Tours von Whitehorse nach Mayo, starten zunächst Siggi und ich mit der kleinen Cessna der Blacksheep Aviation hinauf in die Berge zu unserem Ausgangspunkt, dem Bonnet Plume Lake auf 1.200 Metern Höhe. Das Flugzeug ist so schwer beladen, dass erst der zweite Startversuch klappt. Scheinbar ewig rumpeln wir den Stewart River hinunter, um knapp vor der nächsten Kurve endlich abzuheben. Je höher wir in die Berge kommen, umso schlechter wird das Wetter. Nach einer guten Stunde schwenken wir auf den Bonnet Plume River ein und können gleich eine seiner heftigen Stromschnellen aus der Luft begutachten. Wenig später landen wir im strömenden Regen auf dem See. Unser Pilot brummt unverzüglich zurück, während wir das Lager aufbauen und Feuerholz schlagen. Als Petra und Sabine drei Stunden später einfliegen, hat sich der Himmel aufgeklart und im Sonnenschein bekommen wir einen ersten Blick auf die traumhafte Berglandschaft, die uns umgibt.
Die nächsten Tage verbringen wir hier oben, richten uns ein, präparieren die Kanus, wandern die Berghänge hinauf. Siggi fängt zwei schöne Seeforellen. Das Wetter bleibt ein Mix aus Sonne, Regen und Nachtfrösten. Durch die Niederschläge steigt das Wasser im See deutlich und wir können uns ausmalen, welche Auswirkungen das auf die Stromschnellen weiter unten hat.
Als wir mit den Kanus ablegen, lacht die Sonne von einem strahlend blauen Himmel. Am Ausgang des Sees stehen die Graylinge so dicht im flachen Wasser, dass man sie wahrscheinlich sogar mit der Hand fangen könnte. Der Bonnet Plume River begrüßt uns mit eisgrauem Wasser und schneller Strömung. Acht Kilometer später beginnt in einer Linkskurve der Rockslide Canyon, der durch einen gewaltigen Erdrutsch entstanden ist. Das Flussbett verengt sich und in hoher Geschwindigkeit rauscht das Wasser durch zahlreiche Kurven und Verblockungen. Das Manövrieren mit den schwer beladenen Kanus bringt uns ins Schwitzen. Immer wieder peilen wir die nächste Innenkurve an und kreuzen dabei die rasante Hauptströmung mit etlichen Hindernissen. Nach jeder Biegung bleiben uns nur Momente, um eine blitzschnelle Entscheidung für die weitere Route zu treffen. Aber wir fühlen uns sicher und der wilde Ritt macht zunehmend Spaß.

An der Mündung eines spritzigen Seitenbachs schlagen wir unser Lager auf und verbringen den nächsten Tag mit Brot backen und wandern. Wir haben Zeit und wollen so lange wie möglich in den Bergen bleiben. Die Fahrt zu unserem nächsten Camp am Goz Creek bringt Wildwasser satt. Den ersten Abschnitt, eine wuchtige, lang gezogene Dreier-Stromschnelle, fahren Petra und Holger nach dem Besichtigen, während Siggi und Sabine ihr Boot treideln. Unmittelbar danach folgt ein etwa zwei Kilometer langer Canyon, dessen Eingang eine Vierer-Stromschnelle markiert. Zum Befahren und selbst zum Treideln ist die Stelle auf Grund der Verblockung und der Wucht bei diesem hohen Wasserstand zu gefährlich. Wir portagieren und setzen direkt unterhalb des Rapids wieder ein. Der Rest des Tages vergeht in einer spannenden Wildwasserfahrt durch mehrere Canyons mit Schwierigkeiten bis zum III. Grad, darunter noch ein wuchtiger Dreier.
Die Niederschläge nehmen zu, obwohl uns eine gelegentliche Sonne immer wieder hoffen lässt. Der Wasserstand dürfte dem des Frühsommers nahe kommen. Es gibt Abschnitte, da fließt der Fluss links und rechts durch den Wald. Eines Abends wird angesichts des Regens und der aus unseren, zum Trocknen am Ofen platzierten, Neoprenstiefeln aufsteigenden Gerüche die Idee geboren, daraus ein Parfüm zu kreieren. Ein Name ist schnell gefunden: Bonnet Plume Rain – der Duft des “harten” Wildwasser-Abenteurers.

Im Dauerregen erreichen wir auch die Schlüsselstelle des Flusses. Über schlüpfriges Gestein balancierend, inspiziere ich den ganzen Abschnitt. In voller Breite stürzt der Bonnet Plume River über einen Felsriegel und erzeugt dabei eine stark rückläufige Walze – Wildwasser Stufe 4! Dann zieht das Wasser turbulent und S-förmig durch zwei Kurven. Direkt danach befindet sich auf der linken Seite hinter einer schrägen Walze noch ein Kehrwasser, bevor eine mächtige Verblockung (WW 5) den Fluss zum Kochen bringt. Als ich zurück komme, sind Siggi und Bine schon auf der anderthalb Kilometer langen Portage. Petra und ich machen uns fertig, seilfähren auf die andere Seite des Flusses und tasten uns an die Stufe. Die Schwierigkeit liegt darin, dass wir einen schmalen Durchlass auf der rechten Seite möglichst gerade und mit möglichst viel Geschwindigkeit treffen müssen. Eine Verblockung unmittelbar davor erschwert das Manöver. Wir haben nur zwei, drei Schläge zum Beschleunigen, dann kippt das Kanu nach unten. Für einen Moment ist Petra in der Welle verschwunden, dann taucht der Bug wieder auf. Wir stabilisieren das Kanu mit der flachen Stütze und wollen gerade erleichtert aufatmen, als wir registrieren, dass wir quasi auf der Stelle stehen und schließlich beginnen, uns rückwärts zu bewegen. Der Rücklauf der Walze hat uns erfasst. Wir hauen rein, was das Zeug hält und können uns im Zeitlupentempo aus der Gefahr befreien.
Mit der Seilfähre rückwärts um die Rechtskurve und dann diagonal durch die Hauptströmung ins rettende Kehrwasser auf der linken Seite. Geschafft! Die Portage um den Fünfer ist kurz, unmittelbar danach setzen wir wieder ein und durchfahren den Rest des Canyons, der noch einige haarige Wildwasser-Passagen zu bieten hat.

Dieser Tag brachte das letzte Wildwasser. Ab jetzt fließt der Bonnet Plume River mit flotter Strömung, aber ohne WW-Schwierigkeiten seiner Mündung zu. Die folgenden Tage bringen Kälte und Sturm. Unterhalb der Mündung des Gillespie Creek müssen wir Zuflucht suchen und bauen unser Lager im dürftigen Schutz am Rand eines lichten Wäldchens auf. An unserem Ruhetag bläst der Wind die Wolken vom Himmel, aber es bleibt kalt. Im gewohnten Regen erreichen wir einen Tag später die Mündung des Fairchild Creek. Am folgenden Morgen schimmert die Sonnenscheibe matt durch den dichten Morgendunst. Wir hoffen auf ihre Kraft und tatsächlich jagen warme Sonnenstrahlen bald darauf Nebelschwaden die Berghänge hinauf und wenig später strahlt der Himmel im schönsten Blau. Wir nutzen den Tag und wandern den Fairchild Creek hinauf. Hin und wieder müssen wir den Bach queren und holen uns trotz der hohen Stiefel nasse Füße. Seit Tagen genießen wir den freien Blick auf die Berge und registrieren, dass sich ihre Flanken bis weit herunter weiß gefärbt haben. Dort, wo der Fairchild Creek die Berge verlässt, stürzt sein Wasser geräuschvoll durch eine Klamm. Oberhalb davon mäandert er durch sumpfige Wiesen, die schließlich zu seinem Ursprung führen, dem malerisch von Bergen umgebenen Fairchild Lake.

An der Mündung des Rapitan Creek und in der Nähe des Margaret Lake liegen unsere beiden nächsten Lagerplätze. Von letzterem sehen wir die fernen Berge am Peel River Basin im Abendrot leuchten und wir hoffen auf gutes Wetter. Aber der Dauerregen holt uns noch in der Nacht wieder ein. Lager abbauen, paddeln, Mittagsrast, paddeln – ununterbrochen stürzt der kalte Regen vom Himmel. Am späten Nachmittag finden wir einen leidlichen Lagerplatz im schütteren Wald. Mit der Axt wird noch etwas Buschwerk gerodet, um Baufreiheit zu schaffen. Wenig später steht das Zelt und während ich noch die Sturmleinen spanne, raucht schon der Ofen. Gerade in solchen Situationen bewährt es sich, dass wir immer einen Vorrat Feuerholz vom letzten Lagerplatz mitnehmen. Wenig später sitzen wir warm und in trockenen Klamotten bei einer Tasse Capucchino, die nasse Paddelkleidung in der Zeltspitze und auf dem Lining zum Trocknen verteilt. Draußen prasselt der Regen sein Stakkato auf die Plane.

Und er tut es auch noch am nächsten Morgen – wo kommt nur das ganze Wasser her? Es sind nur noch wenige Kilometer bis zum Peel River. Der Bonnet Plume River verzweigt sich bald in unzählige Arme und nimmt noch mal richtig Fahrt auf. Unmengen von Treibholz schwimmen im Fluss und wir müssen höllisch aufpassen. Wie eine spanische Caravelle schaukelt in einem Nebenarm ein ganzer Baum mit seinem kompletten Wurzelstock davon. Umgestürzte Bäume bilden gefährliche Unterspülungen. Schließlich schießen wir in voller Fahrt hinaus auf den breiten Peel River, der uns mit träger Strömung empfängt.

Nach dem Bonnet Plume River als Hauptziel der Tour sehen wir den etwa zweihundertsiebzig Kilometern auf dem Peel River mit gemischten Gefühlen entgegen. Wir wissen um die ständig nachlassende Strömung und fürchten den Nordwind als unseren Gegner. Aber zunächst überrascht uns der Fluss mit einer malerischen Landschaft. Kurz nach der Mündung des Bonnet Plume River folgt der Peel River Canyon mit senkrechten Felsen und einigen wuchtigen Passagen. Danach weitet sich das Tal, aber es bleiben steile, schwarze Hänge, die durch die herbstliche Farbe der Laubbäume auf ihrem Rücken und das rote Fireweed bunt eingerahmt werden. Ganze Höhenzüge sind von dürren Baumleichen vergangener und offensichtlich gewaltiger Buschbrände überzogen. Wir passieren die Mündung des Snake River und treffen kurz danach zwei Kanadier aus Whitehorse, die den Wind River herunter gekommen sind und hier seit zwei Tagen wenig komfortabel im nassen Unterholz campierend auf ihr Buschflugzeug warten. Offensichtlich konnte es wegen des schlechten Wetters nicht starten. Die Stelle wird Taco Bar genannt, Zielort für diejenigen, die sich von hier wieder Ausfliegen lassen und nicht auf dem Peel River weiter wollen. Eigentlich ist hier eine breite Kiesbank, auf der man Zelten kann, jetzt aber zieht der Fluss in voller Breite durch das Tal. Die beiden erzählen uns, dass dies der niederschlagreichste Sommer im Yukon seit 35 Jahren ist. Und wir waren dabei!

Eines Morgens, kurz nach dem Aufbruch, überraschen wir zwei junge Grizzlies, die im schwarzen Sand nach Nahrung graben. Als sie uns bemerken, gehen sie vorsichtig auf Distanz, bis sie Witterung bekommen und dann den steilen Berghang hinauf die Flucht ergreifen.
Je weiter nordwärts wir kommen, umso schwieriger wird es, Lagerplätze, Trinkwasser und Feuerholz zu finden. Die Ufer sind meist gesäumt von dichtem, zähen Busch.
Das viele Wasser, das aus den Bergen herunter läuft, hat jetzt auf dem Peel River auch sein gutes – seine Strömung ist stärker und reicht etwas weiter als gewöhnlich. Erst über dem Polarkreis, nach der Einmündung des Trail River, wir haben noch gut 90 Kilometer vor uns, wird der mächtige Fluss fast zum stehenden Gewässer. Aber es bleibt windstill.
Der 67. Breitengrad markiert die Grenze zwischen dem Yukon Territorium und den Nordwest Territorien. Fast genau hier entdecken wir am linken Ufer ein hölzernes Denkmal unter der kanadischen Flagge. Hier starben im Februar 1911 zwei Angehörige der jährlichen Hundeschlitten-Patrouille zwischen Fort McPherson und Dawson City. Ihre Tragödie ist als “Lost Patrol” in die Geschichte der berittenen kanadischen Polizei (NWMP, heute RCMP) eingegangen. Nachdem sie am Little Wind River den Pass zum Hart River nicht fanden, traten sie zu spät den Rückzug an und starben an Hunger und Erschöpfung nur relativ wenige Kilometer vor Fort McPherson. Die beiden anderen Mitglieder der Patrouille schafften es nur wenige Kilometer weiter, bis auch sie starben.
Kurz vor unserem Ziel klart das Wetter auf. Nach einer kalten Nacht ist das Wasser im Topf von einer dicken Eisschicht überzogen, aber der Himmel ist blau und bald wärmen uns die Sonnenstrahlen. Als wir in Fort McPherson unsere Kanus aus dem Wasser ziehen, liegen fast 600 Kilometer Flussreise hinter uns. Gemessen an vielen früheren Touren war es für Petra und mich eine eher leichte Tour. Den Bonnet Plume River konnten wir bis auf zwei kurze und einfache Portagen trotz des hohen Wasserstandes komplett befahren. Unsere einschlägigen Erfahrungen, sei es auf Noatak, George oder Coppermine River, ließen uns den größten Respekt vor dem Gegenwind auf dem Zahmwasser des Peel River haben. Für uns grenzt es fast an ein Wunder, dass wir davon verschont blieben und wir danken dem Flussgott dafür noch heute. Der viele Regen war nun mal da und ließ sich nicht ändern. Mit der täglichen Aussicht auf ein warmes Zelt und ein trockenes Plätzchen am Ofen war das Wetter kein Problem.

Was noch blieb, war eine traumhafte Rückfahrt durch eine faszinierende Landschaft im Sonnenschein auf dem Dempster Highway mit Tom im gemütlichen Van von Yukon Nature Tours. Mit an Bord Anton, Moni, Frank und Günter aus Ravensburg, die über den Hart River kamen. Um über deren beeindruckende Abenteuer zu berichten, ist ein eigenes Kapitel erforderlich. Gemeinsam erreichen wir kurz vor Mitternacht Dawson City und schaffen es noch zum letzten Vorhang der Bühnenshow im Diamond Tooth Gerties, bevor man uns gegen halb Drei in der Früh als letzte Gäste höflich hinaus komplimentiert.