Vom Hess River zum Grizzly Lake 2

TEIL 2: TOP OF THE WORLD – AUF DEM ALAKSA HIGHWAY

Von Mayo bringt uns Joost, Inhaber von Yukon Nature Tours, zurück nach Whitehorse. Dort wartet ein Mietwagen auf Petra und mich. Peter hat sich mit dem Auto an die Einsatzstelle des McQuesten River bringen lassen und will diesen in den nächsten drei, vier Tagen bis zum Klondike Highway befahren. In Dawson City wollen wir uns wieder treffen. Unsere Reise dahin ist vergleichsweise lang, führt aber durch einige der schönsten Landschaften des Yukon Territoriums und teilweise Alaskas.
Nachdem wir unsere Vorräte im Superstore aufgefrischt haben, verlassen wir Whitehorse auf dem Alaska-Highway. Der Tag ist sonnig und obwohl es in der vergangenen Woche auch hier bereits Schnee auf den umliegenden Bergen gab, war die Nacht warm im Vergleich zu den Temperaturen weiter oben im Norden. Der Porter Lake liegt mehr als vierhundert Kilometer nord-nord-östlich von hier. Gemütlich rollen wir Richtung Westen und genießen entspanntes Fahren auf der fast leeren Schnellstrasse und den Blick auf die Landschaft. Je weiter wir kommen, umso höher werden die Berge auf der linken Seite. Hier in der südwestlichen Ecke des Yukon Territoriums liegt der Kluane National Park mit den höchsten Bergen Kanadas, gekrönt vom Mount Logan mit 6.050 m. Dass die Mischung aus diesen gewaltigen Bergen und der Nähe zum Pazifik das Wetter unberechenbar macht, können wir bald feststellen. Dunkle Wolken aus dem Süden verfangen sich in den gezackten, felsigen Graten, einzelne Wolkenfetzen schweben herüber. Bald werden es mehr, bis der Himmel von einer grauen Decke überzogen ist, aus der ein zäher Nieselregen tropft.

Am Nachmittag erreichen wir Haines Junction. Den wetterbedingt verwehrten Ausblick auf die Landschaft holen wir uns an Hand von Fotos und eines Filmes im sehr informativen Visitor Center. Der Alaska Highway knickt hier rechts nach Nordwesten ab. Wir folgen einem Tipp von Joost und biegen stattdessen links auf die Haines Road ein. Nach einigen Kilometern Richtung Südosten tauchen einige Blockhütten am linken Straßenrand auf – die Kathleen Lake Lodge. Als wir die Tür zum Hauptgebäude aufstoßen, umfängt uns warme Gemütlichkeit. Einige Gäste sitzen beim Kaffee zusammen, Annette steht am Bügelbrett, Pat hat es sich in einem Sessel bequem gemacht. Die beiden sind die Besitzer der Lodge. Wir können unser Zelt hinten am Waldrand aufschlagen und finden ein geschütztes Plätzchen zwischen den Bäumen. Böiger Wind bereitet uns eine unruhige Nacht. Aber er bläst viele Wolken vom Himmel und am nächsten Morgen können wir bei einem Spaziergang am Upper Kathleen Lake endlich den Blick auf die Bergwelt genießen. Zurück nach Haines Junction und weiter auf dem Alaska Highway. Mittagspause am Kluane Lake. Hier liegen die hohen Berge bereits hinter uns und je weiter wir nach Nordwesten kommen, umso gleichförmiger wird die Landschaft. Aber die bunten Herbstfarben sorgen auch hier für Abwechslung. Hinter Burwash Landing ist die Straße in einem sehr desolaten Zustand. Petra steuert den Jeep und sie muss teilweise einen regelrechten Schlängelkurs zwischen Bodenwellen und Schlaglöchern fahren. Kein Vergleich sicherlich zu den Pionierzeiten dieser Verkehrsverbindung. In einem gewaltigen Kraftakt wurde der Alaska Highway zwischen Frühjahr und Herbst 1942 von Dawson Creek in British Columbia nach Fairbanks durch die riesige Wildnis getrieben. Eine militärische Versorgungstrasse, gebaut als Antwort auf die japanische Bedrohung im nördlichen Pazifik. Kurz vor der Brücke über den White River zeugt ein Freiluftmuseum betagter Army-Laster, Straßenbaumaschinen und Sanitätswagen von dieser Zeit. Tankstopp und Fahrerwechsel in Beaver Creek. Wir haben uns entschlossen, noch heute bis Tok weiter zu fahren. Sind noch rund 180 km. Direkt hinter dem Ort passieren wir die kanadische Grenze. Bis zur US-Station sind es noch weitere dreißig Kilometer. Die Grenzformalitäten dort sind ein Klacks gegenüber der Einreise mit dem Flugzeug. Nach einem längeren Baustellenbereich ist die Straße wieder super. Draußen zieht die flache, nordische Buschlandschaft vorbei. Über den Tanana-River, einem der großen Nebenflüsse des Yukon River, wird gerade eine neue Brücke gebaut. Wenig später sind wir in Tok und peilen den Campground direkt am Highway an. Beim Abendessen im Zelt tröpfelt der Regen auf die Plane. Im gleichen Nieselregen patsche ich am nächsten Morgen durch die Pfützen zur Morgentoilette. Ein älterer Mann grüßt resignierend vor seinem Motorhome: “Good morning, another rainy day!” Das hoffen wir nicht und klammern uns an den schmalen, hellen Streifen am Himmel, der sich im Osten zeigt. Als wir im Laufe des Vormittags Tok erkunden, wird das Wetter tatsächlich immer besser. Das Örtchen gilt als eine der kältesten, bewohnten Siedlungen im Norden. Hier wurden schon Temperaturen unter -60° Celsius gemessen. Und es ist die Musher-Hauptstadt Alaskas, mit einer langen Tradition in der Zucht von Schlittenhunden und dem Ausrichten von Rennen. Nach dem sehr schönen Visitor Center schauen wir uns einige interessante Lokalitäten an. Aber es ist fast immer das Gleiche: Ein Giftshop mit allem Möglichen, von viel Kitsch bis hin zu wertvollen Goldarbeiten oder Handwerk indianischer Künstler. Nach dem dritten haben wir genug und kehren an der Kreuzung zwischen Alaska Highway und Glenn Highway im Grumpygrizz Cafe ein. Ein Lokal, dass offensichtlich von den Einheimischen bevorzugt wird. Obwohl man hier weit vom deutschen Standard entfernt ist, wie die sich ständig selbst öffnende Tür zur Herrentoilette mit direktem Ausblick auf die diverse Ausstattung zeigt, gefällt es uns hier besser. Am späten Vormittag verlassen wir Tok. Zwölf Meilen sind es bis Tetlin Junction. Hier an der alten Roadhouse Station biegt der Taylor Highway nach Norden ab. Es wird eine herrliche Fahrt. Oft mit steilem Gefälle auf- und absteigend führt die noch asphaltierte Straße immer höher. Bald haben wir phantastisch weite Ausblicke. Die Sonne gibt sich die Ehre und lässt die Wälder in Gelb und dunklem Grün leuchten. Als wir irgendwann zum Rasten auf einen der einfachen Campsites abbiegen, treffen wir auf eine kleine Jagdgesellschaft. An einem Tisch fuhrwerken drei Männer mit ihren Messern in einem großen Fleischberg herum. Etwas abseits liegt ein frisch abgetrennter Elchkopf. Eine zierliche ältere Frau ist die erfolgreiche Jägerin von heute morgen. Wir werden freundlich empfangen. Die Leute kommen aus der Gegend von Fairbanks und fahren schon seit Jahren jeden Herbst hierher auf die Jagd. Man bietet uns frische Elchleber an. Die bereits herausgelösten Innereien sind riesig. Das Herz füllt eine Waschschüssel. Obwohl noch relativ jung, war der Elch schon ein gewaltiges Tier. Wir kommen nicht umhin, uns mit der Trophäe fotografieren zu lassen. Nur einige Kilometer weiter entdecken wir fast unmittelbar am Straßenrand eine Elchkuh mit zwei Kälbern. Wir pirschen uns ein Stück heran und beobachten den Familienausflug. Sie können sich sicher fühlen, die Jagdzeit gilt nur für Elchbullen. Mile 66: Unser Tagesziel ist das ehemalige Goldgräbernest Chicken. Hier wurde die Erde schon vor dem berühmten Fund am Bonanza Creek drüben im Yukon nach Gold durchwühlt. Immerhin waren die Lagerstätten so ergiebig, dass sich sogar der teure Einsatz eines riesigen Schwimmbaggers, Dredge #4 oder Pedro Dredge, lohnte. Noch heute sind einige Claims in der Umgebung in Betrieb. So klein der Ort, wenn man ihn überhaupt so nennen will, auch ist, in der Saison rollt hier einiges an Touristen durch. Davon zeugen drei dicht aneinander grenzende Motorhome Parks und eine kleine Siedlung an Blockhütten für Gäste. Stellplätze für Zelte hat es kaum. Im Chicken Gold Camp sind es gerade mal eine Handvoll, die fast schamhaft im Wald versteckt sind. Aber die Saison ist vorüber, Platz gibt es genug. Die Cabins sind großenteils an Straßenarbeiter vermietet, dazu kommen noch die Pickups einiger Jäger. Nachdem das Kåta steht, bummeln wir durch ein Sammelsurium von Baggerschaufeln, Bohrgeräten und Raupenfahrzeugen. Fast hat es den Anschein, als würde die Schicht gleich von einer Pause zurückkehren und ihre Arbeit fortsetzen. Allein der Rost, das Baujahr an den Maschinen und deren technischer Stand zeigen, dass die Pause wohl endgültig ist. Am Abend genießen wir die warmen Strahlen der untergehenden Sonne auf der hölzernen Terrasse des Restaurants im Chicken Gold Camp.Auf eine klare, frostige Nacht folgt dichter Morgennebel. Als wir starten, bohren sich die ersten Sonnenstrahlen durch die Schwaden und es gibt herrliche Stimmungsbilder. Nur wenige Kilometer hinter Chicken stoppt uns ein “Ampelmädchen” in dicker Straßenbaukleidung mit dem Schild “Roadwork ahead”. Bis vor wenigen Tagen noch war dieser Teil des Taylor Highways wegen Bauarbeiten gesperrt. Das ist hier nicht ungewöhnlich. Jedes Jahr wird die Gravel Road durch die Frühjahrshochwasser oder starke Regenfälle bis zur Unpassierbarkeit in Mitleidenschaft gezogen und kann nur unter ständigen Anstrengungen in Stand gehalten werden. Vor uns warten bereits zwei Pickups mit Jagdutensilien und ein Wohnmobil. Schließlich kommt ein Jeep aus der Gegenrichtung, wendet und setzt sich vor unseren kleinen Konvoi. Über dem Fahrerhaus prangt groß ein Schild mit der Aufschrift “Pilot Car”. In gemächlichem Tempo führt er uns die nächsten rund fünfzig Kilometer durch den Baustellenbereich. Inzwischen hat die Sonne fast die Oberhand gewonnen und es gibt wunderschöne Ausblicke in das Tal des South Fork, der viel kaffeebraunes Wasser führt. Da wir das letzte Fahrzeug sind, halten wir öfter an, um zu schauen und zu fotografieren. Immer wieder gibt es Abschnitte mit Instandhaltungsarbeiten. Schweres Gerät wühlt sich durch die aufgeweichte, schmale Piste. Daneben plätschert oft ein harmloses Wässerchen, das sich im Frühjahr in einen reißenden Bach verwandelt und dafür verantwortlich ist, dass der Stein des Sysiphos dann wieder nach unten rollt. Eine nicht enden wollende Auseinandersetzung zwischen Mensch und Natur. Jack Wade Junction. Hier ist die “geführte” Tour zu Ende. Links verläuft der Taylor Highway weiter nach Eagle, geradeaus geht es nach Dawson City. Ab jetzt sind wir oberhalb der Baumgrenze und die Strasse trägt ihren Namen “Top of the World Highway” zu Recht. Wir haben das schönste Wetter und eine unglaubliche Fernsicht. Kurz vor der Grenze liegt die urige Boundary Lodge. Der alte Mann, der sie bewirtschaftet, lebt das ganze Jahr hier oben, obwohl die Straße und die Grenze nur vom 15. Mai bis zum 15. September geöffnet sind. An der amerikanischen Grenzstation hängen die Flaggen auf halbmast. Heute ist der 11. September. Schnell und reibungslos sind wir zurück in Kanada. Meilenweit können wir den Verlauf des Highways mit den Augen verfolgen. Ursprünglich war dies ein Trail, auf dem man von Dawson City aus die Goldgräberlager am Sixty Mile River versorgte. Auf Grund der exponierten Trassenführung wurde er Ridge Road genannt und im Laufe der Jahrzehnte schließlich zur Straßenverbindung nach Alaska ausgebaut. Die Täler unter uns leuchten in herbstlichen Farben. Am Horizont, schon auf der anderen Seite des Yukon River, erheben sich grau gezackt die Ogilvie Mountains. Dort liegt das Ziel unserer nächsten Tour. Irgendwann taucht fern auf der rechten Seite der Yukon River auf und bald neigt sich die Strasse steil hinunter in das Tal des mächtigen Flusses. Wenig später setzt uns die kostenlose Regierungsfähre über nach Dawson City. Am Visitor Centre hängt eine Nachricht von Peter. Wir finden ihn auf dem Campground hinter Klondike Kate. Unser Wiedersehen feiern wir gründlich bis in die frühen Morgenstunden im Westminster und brauchen dann einen Tag Erholung, bevor wir zum nächsten Abenteuer aufbrechen.