The Narrows of the Green River

Green River Narrows-Statistics: A broken paddle blade, a helmet camera lost and still swimming in the Narrows, various pains on hand, shoulder and forehead – and unbelievable impressions from some of the best days in canoe I ever had!

Nach unseren Wandertouren in den Great Smoky Mountains führt uns unser Weg in das gut einhundert Kilometer entfernte Asheville. Bei unserem Freund Eli Helbert platzen wir ziemlich unvorbereitet mitten in einen Kindergeburtstag. Ein Problem ist das natürlich nicht, es gibt genügend zu Essen und Platz zum Schlafen. Abends sitzen wir im Garten um’s Feuer und planen die nächsten Tage. Ich möchte die Green River Narrows paddeln, Schauplatz des wohl spektakulärsten Wildwasser-Rennens der Welt, das kommenden Samstag stattfinden wird. Aber der Green River ist reguliert, quasi wie die Oker im Harz. Die Ablasszeiten kann man im Internet abrufen, und die sagen, für die nächsten beiden Tage hat es kein Wasser. Erst am Mittwoch ist Paddeln wieder möglich. Eli hat das Rennen schon mehrfach in der Open-Canoe-Klasse gewonnen, kennt den Fluss seit zwanzig Jahren, nach eigener Aussage fast alles auch aus schwimmender Perspektive und darüber hinaus war er zweimal World Champion im Kanu-Rodeo. Der beste Partner also, den man sich zum Paddeln nur wünschen kann. Und ausgerechnet am Mittwoch muss er arbeiten 🙁 . Der Zufall hat seine Hand im Spiel, als Wes Gentry anruft und für genau diesen Tag Partner zum Kanu fahren in den Narrows sucht 🙂 . Mir ist es wichtig, wenn irgend möglich, mit dem mir vertrauten Kanumodell zu paddeln. Eli hat eine kleine Armada an Canadiern liegen und auf meine dahingehende Anfrage vor der Reise hat er mir geschrieben: “You are welcome to use my Prelude.” Gemeinsam fitten wir das Innenleben des Kanus auf meine Maße.

First Run: Mit Wes in den Narrows

Mittwoch morgen, Green River Access am Ende der Gallimore Road, Saluda: Hier herrscht ein Kommen und Gehen, alles Kanuten, die für das Rennen trainieren. Auch Wes und ich bereiten unsere Ausrüstung vor und machen uns dann mit den Booten über dem Kopf auf den rund eineinhalb Kilometer langen, schmalen Waldweg, der hinunter zum Fluss führt. Petra begleitet uns und wird später die zwanzig Kilometer über die Interstate 26 zum Ausstieg am Fishtop Access fahren. Die Strecke in den Narrows dahin ist dagegen nur 4,6 Kilometer lang. Flach, breit und zahm plätschert der Green River vorbei, unschuldige Idylle vortäuschend. Allerdings von etlichen Videos glaube ich zu wissen, was uns erwartet und stehe ordentlich unter Strom. “It looks so scary!” Der erstaunte Spruch eines der umstehenden Kajakfahrer, als ich mich in mein Cockpit zwänge, wirkt nicht Adrenalin senkend. Open Canoes sind ein sehr seltener Anblick hier. Flott treiben wir auf den ersten paar hundert Metern dahin. Dann steigern sich die Schwierigkeiten schnell. Irgendwann dreht sich Wes um und ruft: “Welcome to the Narrows!” Ohne Stop fahren wir ein in “Frankensteins Bride”, Wildwasser 4+. Links halten, drauf bleiben, passt. Das nächste Kehrwasser ist sozusagen die Startbox für das Rennen. Von hier scouten wir “Frankenstein”, den ersten Fünfer. Wes paddelt vor, die Anfahrt ist ziemlich tricky. Als ich kurz aufblicke, sehe ich noch, wie Wes unterhalb der Kante schwimmt und sein Kanu kieloben davon treibt. Ach du Sch… Ich konzentriere mich auf den Boof, komme sauber runter und eile dann dem Canadier hinterher. Über verblockte Stufen geht es mit erheblichem Wasserdruck nach unten. Obwohl stark damit beschäftigt, die äußeren Reize zu verarbeiten, meldet sich nach kurzer Zeit mein Hirn: Achtung! Unbekanntes Wildwasser voraus, treibendes Material nicht lebenswichtig! Oberhalb von “Pincushion” schwenke ich ins Kehrwasser und schnaufe durch. Wes war sicher raus gekommen und klettert am linken Ufer nach unten. Wir haben Glück, irgendwo oberhalb von “Whale Tail” findet er seinen Detonator wieder, offensichtlich geborgen von anderen Paddlern. Wes ist hart im Nehmen, weiter paddeln müssen wir sowieso. Einmal drin in den Narrows kommt man vor dem Fishtop Access nur unter größten Schwierigkeiten wieder heraus. Die nächste Kernstelle, “Boof or Consequences”, scouten wir wieder. Ab hier hat man erstmals einen weiten Blick ins Tal und ich frage mich ernsthaft, was ich hier in einem Kanu mache. Vielmehr scheint mir das ein Gelände für Bergsteiger zu sein. Tief unten erkenne ich ein paar Menschlein und bunte Bötchen am “Gorilla”, dazwischen die anderen namhaften Hauptschwierigkeiten. Trotz der Videos – so eindrucksvoll und steil hatte ich mir das nicht vorgestellt. “Boof or Consequences” ist ein senkrechter Drop, in dessen Unterlauf die Strömung auf einen Felsbrocken prallt. Der Schlitz, durch den man sich nach unten stürzt, hat gerade einmal Bootsbreite. Den Bug muss man nach rechts halten, wie mir Wes erklärt, trotz der Felswand, die dort aufragt und dem abfließenden Wasser nur wenig Raum lässt. Ich sichere, Wes kommt herunter, hält den Bug nach rechts, touchiert die Felswand, kentert, der Wurfsack fliegt und dann bin ich dran. Und ich will es besser machen und halte den Prelude geradeaus in seinem Flug nach unten. Als ich das später Eli erzähle, verzieht er das Gesicht wie im Schmerz und sagt: “Oh, bad idea!” Tatsächlich knalle ich voll auf den Brocken, danach geht es weder vor- noch rückwärts. Mitten im Fall steige ich aus und zerre am Kanu, das sich plötzlich ruckartig losreißt. Mein Hechtsprung hinterher greift ungefähr zehn Zentimeter zu kurz. In der nachfolgenden Bergeaktion verabschiedet sich meine am Heck befestigte Helmkamera grußlos auf Nimmerwiedersehen.
Zu meinem Boot komme ich erst wieder unterhalb von “Go Left and Die”. “Gorilla”, den berühmt-berüchtigten Main Drop, umtragen wir weiträumig und haben dabei die Chance, einige Kajaker zu beobachten, die sich mit beneidenswerter Selbstverständlichkeit herunterstürzen. Kein Wunder, sie gehören größtenteils fast alle zur Creme de la Creme des Wildwassersports. Selbst auf diesem Level gibt es noch Luft für Außergewöhnliches nach oben. Unter großem Gejohle aller Zuschauer haut sich doch tatsächlich so ein Ausnahmekönner in einem Seekajak! die engen Verblockungen hinunter.
“Sunshine” liegt schon unterhalb der Rennstrecke, gehört mit “Go Left and Die” und “Gorilla” zu den drei Major Rapids in den Narrows und wird unsere letzte Umtragung. Trotzdem liegt der größte Teil der Strecke noch vor uns. Auch dort warten noch viele namhafte Rapids wie “Toilet Bowl”, “Great American Boof” oder “Hammerfactor” auf uns. Dazu zahlreiche namenlose, über die man sagt: “On any other river they would have a name.” Es wird ein heißer Ritt und ein Wechselbad der Gefühle. Wir fahren fast alles auf Sicht, Wes als Local voraus und ich mehr oder weniger dicht hinten dran. Die hohe Anspannung und das ständige schnell reagieren und sich schnell entscheiden Müssen zehren langsam an meiner Konzentrationsfähigkeit.
In einem verblockten Abfall bleibt Wes einmal kurz stecken. Für mich kein Platz zum Ausweichen, ein dicker Baumstamm zwischen den Steinen macht die Sache noch kniffliger. Mir verreisst es das Boot, mit dem Kopf voran liege ich einen Augenblick später drin. Das Wasser irrt in dem engen Parcours nach unten, kein Platz zum Rollen. Hier gibt es die ersten blauen Flecken. Später schmeisst es mich im unteren Drittel von “Colonel Dicks”. Ich bleibe im Prelude und drücke mein Gesicht in den Auftriebskörper, während ich nach unten treibe. Dabei werde ich dermaßen verdroschen, dass ich das Gefühl habe, mein Rücken wird von Pferden getreten. Wunderschön dann der Boof “Baby Sunshine” hinunter und der Sprung in die “Toilet Bowl”. Voll Adrenalin erreichen wir den Ausstieg, mit dem Nachlassen der Anspannung spüre ich die körperliche und geistige Erschöpfung und den Schmerz. Aber vor allem bin ich glücklich über dieses Erlebnis.

Wes schrieb mir später:
“Way to go, Holger. We did it and every time you’re there you get more and more comfortable. Thanks for going open boating on the narrows. It takes a certain type of special person to take a beating and keep going. You’re resilient and strong, humble and brave, I hope to paddle with you again.”

(Einige Bilder von den Narrows und dem Rennen. Auf Grund des Kameraverlustes keine Bilder von unseren Runs in den Narrows. Darunter der Bericht über den zweiten Run mit Eli Helbert.)

Second Run: Mit Eli in den Narrows

Zwei Tage später bin ich wieder da. Diesmal mit Eli, der zwar wieder arbeiten musste, weshalb wir auch erst gegen drei Uhr auf den Fluss kommen. Wes war dieses Jahr das erste Mal in den Narrows, für Eli ist es fast der Hausbach. Er strömt eine unerschütterliche Gelassenheit aus, die meine immer noch vorhandene Anspannung deutlich reduziert. Jetzt, wo ich die Strecke schon einmal befahren habe, gibt es Rapids, auf die ich mich freue, und andere, denen ich mit gemischten Gefühlen entgegen sehe. “Frankensteins Bride” ist kein Problem. Den Boof in “Frankenstein” erwische ich wieder gut, allerdings treibt es mich etwas zu weit unter den überhängenden Felsblock und ich muss rollen. In “Pincushion” reagiere ich zu spät und rette mich mit einer ausgeprägten flachen Stütze. Geht halt alles sehr fix hier. Als wir uns “Boof or Consequences” nähern, schwappt der Adrenalinspiegel nach oben. Wir schauen uns das Teil nicht mal an. Eli erinnert mich nur daran, den Bug rechts zu halten und verschwindet hinter der Kante. Das wird sich noch ein paar Mal wiederholen. Entgegen jeglicher Vernunft peile ich am Boof gefühlt die rechte Felswand an und lande sauber und etwas verdutzt im Unterwasser. Eli nickt nur, offensichtlich hat er nichts anderes erwartet. Nach dem Motto: Wie kann man hier nicht sauber runter kommen. Weiter geht’s über einige Stufen zu “Go Left and Die”. Eli erklärt die Linie. “Are you sure I can do this?” Auf keinen Fall möchte ich da unten schwimmen. “Sure!” Und schon ist der Kerl wieder weg. Paddel vor, Schwerpunkt vor und hinterher. Der Kick ist, dass diese Kernstelle da lauert. Sicher komme ich unten an. Dort nehmen wir “The Squeeze” auf der rechten Seite, entspannendes Wildwasser Stufe 4. Es folgt der Hinweis: “The next is “Reverse Seven Foot”, don’t miss the eddy below on the left side.” Ich nehme ihn ernst und fliege von dem gut zwei Meter hohen Abfall direkt ins Kehrwasser. Nach dem tiefen Loch am Eingang zu “Zwicks”, der nächsten WW 5-Schwierigkeit wird der Hauptteil des Wassers nach links abgedrängt. Unten wartet mit offenen Armen eine tiefe, rückläufige Walze, die man vermeiden kann, solange man gerade noch rechts vorbei hinunter booft und dann beim Weiterpaddeln nicht einschläft. Mir misslingt schon das erstere. Ich springe mitten rein ins Chaos, werde förmlich unter Wasser gezogen und staune, wie tief es da unten ist.
“Chiefs” befährt Eli mit einer coolen Linie, wie ich sie in noch keinem Video gesehen habe. Von rechts kommend fährt er ganz bewusst den großen Felsblock an und landet schließlich ohne einen Tropfen Wasser im Boot zu haben.
Nur wenige Meter sind es von hier bis zum “Pencilsharpener” (WW 4+). Darunter liegt der “Gorilla”. Die berühmte Hauptschwierigkeit reizt schon und schreckt gleichzeitig ab, denn hinein muss man durch “The Notch” (WW 5). Der steile Schlitz ist nicht einmal zwei Meter breit und hier entscheidet sich, ob man überhaupt eine Chance hat, den “Gorilla” sauber zu befahren. Unten wartet dann die “Speedtrap”, wo das zusammengepresste Wasser schon etliche Boote aufgemischt hat. Wir beide sind heute so ziemlich die Letzten auf dem Fluss. Keine Sicherung weit und breit und kein Gedanke ohne eine solche den Sprung zu wagen. Morgen ist das Rennen. Die Sicherungsleinen für das Rescue-Team liegen schon aus. An ihnen hangeln wir uns auf dem schlüpfrigen Fels hinunter zur “Speedtrap” und setzen hier wieder ein. “Scream Machine” folgt unmittelbar als nächster Fünfer. “Keep right”, lautet Eli’s ausführlicher Befahrungshinweis bevor er ablegt. Gespannt schaue ich ihm hinterher. Als er an der Kante verschwindet, fühle ich mich ziemlich einsam, um mich herum nur rauschendes Wasser. Während ich einsteige, rumst es zwei Mal kurz hintereinander. Da kamen doch noch zwei Kajaker den “Gorilla” herunter, kämpfen sich durch die “Speedtrap”, grüßen kurz mit der erhobenen Hand und sind schon wieder weg. Kaum dass ich im Kanu knie, greift der Sog danach und zieht mich Richtung “Speedtrap”. Um Himmels Willen! Mit aller Kraft kämpfe ich dagegen an, bis ich die abfließende Strömung erreiche. Aber ich bin zu weit links, drehe kurz entschlossen eine spannende Ehrenrunde, weil das Boot zurück zur “Speedtrap” immer schneller wird. Im Übergriff kreuze ich schließlich die starke Strömung zur rechten Felswand, halte die Seite und lande endlich aufatmend neben Eli im Unterwasser. Es folgen “Nies’ Pieces” (WW 5) und der diagonale Run von links nach rechts durch “Power Slide” (WW 4+), um das gähnende Loch unten zu vermeiden. Im Auslauf von “Rapid Transit” liegt das Ziel beim Rennen. Hier will ich gleich nach rechts zur Portage. “No”, ruft Eli. “Don’t miss “Groove Tube”.” Ja, klar. Ein Rapid Wildwasser 5 ziemlich dicht vor “Sunshine”, dem gefährlichsten Fall in den Narrows. Wenn man da rein schwimmt, tut es nicht nur weh … Andererseits hat Eli viel Vertrauen in mich. Er ist nicht der Typ, der andere in unkalkulierbare Risiken jagt. Ich kann ja mal gucken. Der Drop sieht schon toll aus. Eli nimmt die Center-Line, booft traumhaft sicher hinunter und winkt aus dem nächsten Kehrwasser. Also gut, was bin ich doch leicht rumzukriegen. Ich entscheide mich für die Main Line auf der linken Seite. Oberkörper vorn lassen, Einfahrt direkt in das aufspritzende Wasser vor der nicht sichtbaren Kante. Den Boofschlag setze ich nach Gefühl, denn Sicht gibt’s keine. Im Blindflug rausche ich nach unten, bis der Aufprall kommt. Perfekt gelandet. Vor lauter Freude kippe ich dann doch noch um und mache es unnötig spannend. Im rechten Kehrwasser direkt oberhalb von “Sunshine” steigen wir aus. Praktischerweise hängen hier zwei Seile mit Karabinern, an denen wir unsere Kanus nach unten lassen können. Es kommen noch zwei Nachzügler in Kajaks. Eli kennt hier offensichtlich jeder. Wir beobachten, wie einer “Sunshine” in Angriff nimmt. Er startet aus dem rechten Kehrwasser und fliegt auf der anderen Seite beängstigend nah an den Felsen nach unten. Hier ist kein Platz für Fehler!
Wir nehmen den kurzen Pfad nach unten und, bevor wir weiter paddeln, klettern wir noch in die Höhle hinter dem Wasserfall. Dann hocke ich wieder im Prelude in einem kleinen Kehrwasser, der Fluss wird auf Kanubreite zusammen gepresst und verschwindet hinter einem riesigen Felsblock. So genau weiß ich nicht mehr, was dahinter kommt und Eli sagt nur: “There is a boof behind that rock. Don’t boof to the right. It hurts.” Dann ist er weg … und beugt damit einem Spannungsabfall bei mir vor. Ohne weiteres Scouten fahren wir ab hier durch. Es ist auch schon später Nachmittag und wird bald beginnen zu dämmern. Den ganzen Streckenverlauf habe ich nicht im Kopf, aber mein Kurzzeit-Gedächtnis funktioniert wenigstens insoweit, dass ich mich an die meisten Schwierigkeiten erinnere, wenn wir uns ihnen nähern. So auch an den Baumstamm von vorgestern, den ich heute mit vorausschauender Linie vermeiden kann. In “Colonel Dick’s” allerdings erwischt es mich wieder und auch die Pferde sind wieder da. Als ich mich unten im flachen Wasser auf mein Paddel stütze, gibt es seltsam nach. Das Blatt ist in der Mitte quer gebrochen. In den nächsten Hindernissen läuft es wieder gut und so gehe ich “Toilet Bowl” siegessicher an, verhaue beim Sprung ins “Klo” den Winkel und rolle unten mit “Hammerfactor” im Rücken mühsam hoch. Auch dieser Tag unter Dauerstrom geht nicht spurlos an mir vorüber. Vor allem die mentale Ermüdung macht sich bemerkbar. Konsequenterweise vermassele ich auch den letzten Fünfer. Aber es ist nicht mehr weit bis zum Ausstieg und ich genieße die letzten Schwierigkeiten mit der Euphorie, gerade einen meiner schönsten Tage im Kanu mit einem der besten Open-Canoe-Paddler verbracht zu haben.